Die Lärchen haben sich rechtzeitig eine Erkältung (erste Frostnächte) geholt und ihre Nadeln golden gefärbt. Ich stehe vor der schwierigen Entscheidung chase it oder ride it. Mitfahren gewinnt! Um 9:30 steht die Hippsche Wendescheibe noch auf ‚Halt‘, während die G 4/5 108 von 1906 die Nostalgiekomposition an den Bahnsteig manövriert. Viel Schulferien-Volk (Eltern mit Kinder) stürmt die Wagen. Zur Füllung der Club 1889 – Kasse habe ich den Obulus für die 1. Klasse bezahlt und mache es mir im A 1102 auf den Polstern bequem.
Das Signal geht auf grün, ein Pfiff und zur Musik der Dampfstösse gleiten wir auf die Strecke. Ein junger Boy scheint der Sache nicht ganz zu trauen und versucht mit der Hand den Dampf zu testen.
Die noch tief stehende Sonne lässt den Schattenwurf von Lok, Rauch und Wagons auf Wiesen und Böschungen tanzen (siehe Video). In Scanf wird fotografiert, geschmiert und geölt währendem wir Kreuzung, Gegenzug und Kreuzung abwarten. Dasselbe wiederholt sich in Ardez.
In Schuls heisst es rechtsum kehrt, da die Verlängerung in Richtung Tirol sich bis jetzt noch im Reich der Polit- und Touristikerträume befindet. Die 108 stillt ihren Durst und schwingt dann mit Hilfe der Drehscheibe elegant ihren Hintern und Tender herum, so dass sie nun sorgenvoll die Steigung vor sich sieht, die sie doch so locker heruntergebraust ist.
Unser Zug ist an den Güterschuppen verbannt, damit er auch ja keinem Regelzug in den Weg kommt. Da geht es aber dann fröhlich zu. Zur Freude der Clubkasse spricht männiglich der vorzüglichen Gerstensuppe zu und wird dabei von den Holzklassen-Solisti, die heute in verstärkter Formation auftreten, unterhalten. Ich nutze die reichlich bemessene Mittagspause und nehme für einmal nicht die ganze Lok, sondern ihre blank polierte Technik vor die Linse.
Für die Rückfahrt scheint die Sonne ohne Schleier vom tiefblauen Engadineerhimmel und das Gegenlicht lässt schöne Bilder entstehen. In Zernez hat die alte Dame schon wieder Durst. Der Wasseranschluss ist in der hintersten Ecke der Güteranlage, so dass hier fleissig rangiert wird.
Nach der Kreuzung in Carolina steigen wir auf offener Strecke aus, der Zug setzt in den Tunnel zurück und rauscht dann heftig schnaubend über den Val Mela Viadukt und an der eifrigst klickenden Fotografenmeute vorbei. In Scanf beanspruchen wieder die Regelzüge ihren Vortritt und nochmals zeichnet das Abendlicht scharfe Schatten auf dem Antrieb.
Zurück in Samedan verabschiedet man sich von alten und neuen Reisegefährten – vielleicht ja nur bis zum Winter-Dampf am 2.2.2020. Die 108 hat es eilig, sie verschwindet in Dampf gehüllt in Richtung Drehscheibe und Wartung.
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